Arzthaftung

Unter Arzthaftung versteht man die Verantwortung eines Arztes gegenüber einem Patienten bei schuldhaftem Handeln, welche infolge der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit entsteht.

Wenn ein Arzt einen Patienten behandelt, so kommt damit – rechtlich betrachtet – ein Behandlungsvertrag zustande. Dies gilt auch dann, wenn der Arzt kein Honorar verlangt oder das Honorar von dritter Seite, etwa einem Sozialversicherungsträger, getragen wird. Aufgrund dieses Vertrages, eines Dienstvertrages, schuldet der Arzt nicht einen bestimmten Erfolg – Heilung des Patienten kann er nicht zusichern –, sondern fachgerechte Bemühungen mit dem Ziel der Heilung oder Linderung von Beschwerden. Verstößt er gegen diese Pflicht, spricht man von einem Behandlungsfehler, aufgrund dessen der Arzt dem Patienten zum Schadenersatz verpflichtet ist. Diese Haftung lässt sich in gleicher Weise auf unerlaubte Handlung (§ 823 BGB) stützen, da der Arzt dann zugleich unberechtigt die Gesundheit beeinträchtigt oder die körperliche Integrität verletzt.

Die ärztlichen Pflichten und möglichen Verstöße sind zahlreich. Sie lassen sich im Wesentlichen gruppieren in Behandlungsfehler, Aufklärungsversäumnisse, Dokumentationsfehler und sonstige Pflichtverstöße.

Behandlungsfehler und das Medizinrecht

Der Arzt schuldet eine fachgerechte Behandlung des Patienten, deren Erfolg er nicht garantieren kann. Daher schuldet er – abgesehen von Besonderheiten – nur den Standard, den ein kompetenter und eingearbeiteter Facharzt gewährleisten kann.

Ob er diesem Standard gerecht wird, entscheidet in der Regel ein medizinischer Sachverständiger in einem Gutachten, das nach Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs vom Betroffenen, der Haftpflichtversicherung des Arztes, der Schlichtungsstelle oder im Rechtsstreit vom Gericht beauftragt werden kann. Im Rahmen des Gutachtens wird geprüft, ob der Arzt die zur Zeit der Behandlung geltenden wissenschaftlich erprobten und empfohlenen abklärenden (diagnostischen) und therapeutischen Maßnahmen korrekt angewandt hat. Maßgeblich ist die tatsächliche Qualifikation, nicht das Attest über eine abgelegte Facharztprüfung.

Dieser Standard kann sich zu Gunsten des Patienten erhöhen, wenn er den Arzt wegen besonderer Kompetenzen aufgesucht hat: dann ist nicht der Standard, sondern die spezielle Kompetenz dieses konkreten Arztes geschuldeter Maßstab. Denn der Arzt, nicht ein meist angestellter Vertreter ist dann verpflichteter Partner des Arztvertrages.

Aufklärungsfehler und die Arzthaftung

Siehe dazu die Artikel Ärztliche Aufklärung und informierte Einwilligung.

Jede ärztliche Maßnahme greift in innere Lebensvorgänge ein oder verletzt die körperliche Integrität des Patienten. Sie erfüllt daher den Tatbestand einer Körperverletzung im zivil- wie strafrechtlichen Sinn (§ 223 StGB) und ist nur mit Zustimmung des Patienten gerechtfertigt (§ 228 StGB). Zustimmung setzt aber voraus, dass der Patient über die beabsichtigte Maßnahme, ihre Erfolgsaussichten und die möglichen negativen Folgen Bescheid weiß. Sofern es sich nicht um Selbstverständlichkeiten (z.B. Abszess nach Spritze) handelt, muss der Arzt den Patienten daher zu diesen Fragen aufklären. Die Ausführlichkeit der Aufklärung richtet sich dabei u.a. nach der Notwendigkeit des Eingriffs: während bei einer Notoperation an einem bewusstlosen Unfallpatienten die Aufklärungspflicht entfällt, muss bei einer Schönheitsoperation besonders sorgfältig über die Risiken, die Kosten des Eingriffs und Erfolgsaussichten aufgeklärt werden.[1][2]

Diese Eingriffsaufklärung rechtfertigt also erst die Heilbehandlung des Arztes und muss daher vom Arzt belegt werden. Dem Patienten wird häufig vor Eingriffen eine Einwilligungserklärung zur Unterschrift vorgelegt, die – vollständig ausgefüllt und unterschrieben – den erforderlichen Nachweis für die Arztseite erbringt. Jedoch kann man die Aufklärung auch mit anderen Beweismitteln, etwa einem Eintrag in der Dokumentation oder einer Zeugenaussage belegen.

Die Eingriffsaufklärung muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient sich frei entscheiden kann. Regelmäßig ist also bei Vereinbarung des Eingriffs aufzuklären. Vor der Behandlung von Kindern sind deren Eltern aufzuklären, ab etwa dem 14. Lebensjahr müssen zusätzlich die Jugendlichen zustimmen. Bei Sprachschwierigkeiten muss der Arzt nach Möglichkeit einen Übersetzer beiziehen, sodass dem Patienten die erforderliche Information gegeben werden kann. In Notfällen wird sich die Aufklärungspflicht allerdings auf das mögliche beschränken, bei nicht ansprechbaren Patienten können Angehörige oder eine Patientenverfügung Aufschluss über den mutmaßlichen Willen des Patienten geben.

Unter Umständen kann auch die Bestellung eines rechtlichen Betreuers (§§ 1896 ff. BGB) seitens des Vormundschaftsgerichtes sinnvoll oder geboten sein, insbesondere wenn keine mit einer Vorsorgevollmacht versehene Person berechtigt ist, Erklärungen zur medizinischen Behandlung abzugeben. Maßgeblich ist hier auch die zur Verfügung stehende Zeit.

Es liegt auf der Hand, dass das Aufklärungsgespräch nicht medizinische Detailkenntnisse vermitteln kann. Es soll in der asymmetrischen Patient-Arzt-Beziehung die Position des Patienten stärken: der Arzt hat die Freiheit der Methodenwahl, der Patient die Freiheit der Arztwahl. Daher soll sich der Patient aus Laiensicht ein Bild von den vorgeschlagenen Maßnahmen und den damit verbundenen Risiken sowie von möglichen Behandlungsalternativen machen können.

Nicht Gegenstand dieser Pflicht zur Eingriffsaufklärung ist die Verpflichtung des Arztes, etwa auf das Erfordernis weiterer Schritte zur Sicherung des beabsichtigten Erfolges hinzuweisen. Das Unterlassen derartiger Sicherungsaufklärung wäre fehlerhaft und muss vom Patienten bewiesen werden.

Ist die Aufklärung unterblieben, kann sich der Arzt nicht darauf berufen, dass ein vernünftiger Patient der Therapie zugestimmt hätte, hätte der Arzt sich rechtmäßig verhalten. Vielmehr ist der Patient frei, auch eine dringend gebotene Maßnahme abzulehnen. Der Arzt hat diese Entscheidungsfreiheit zu respektieren. Daher genügt es, wenn der Patient einen Entscheidungskonflikt für den Fall korrekter Aufklärung behauptet.

Dokumentationsfehler und Arzthaftung

Der Arzt hat seine Befunde, eingeleitete therapeutische Maßnahmen und abzuklärende Fragen zu dokumentieren. Damit soll er nicht nur sich selbst Rechenschaft über die Behandlung seines Patienten ablegen, sondern für den Fall seines Ausscheidens einen anderen Arzt in die Lage versetzen, seine Behandlung problemlos fortzusetzen. Diese Dokumentation, zu der auch Laborergebnisse, Ausdrucke von Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie Ultraschall oder Röntgenbilder gehören, hat der Arzt sorgfältig zu verwahren. Erfolgt dies unzureichend, spricht man von einer Dokumentationspflichtverletzung.

Eine dementsprechend auch zeitnah geführte, vollständige und widerspruchsfreie Dokumentation des Arztes steht ihm als Beweismittel für seine Therapie zur Verfügung. Die vollständige Dokumentation entlastet regelmäßig den Arzt und kann von ihm – wie vom Patienten – als Beweismittel verwendet werden.

Lücken der Dokumentation lassen diesen Beweis entfallen. Zu Lasten des Arztes wird dann die ungünstigste Alternative unterstellt. Dies führt regelmäßig zu einer Umkehr der Beweislast: nicht der Patient muss einen Fehler des Arztes, vielmehr muss nun der Arzt beweisen, dass er auch für diesen Fall richtig gehandelt hat.

Sonstige Pflichtverstöße eines Arztes

Auch die Verletzung anderer Pflichten, etwa der Schweigepflicht, begründet einen Schadenersatzanspruch des Patienten gegenüber seinem Arzt. Doch spielen derartige Forderungen in der Praxis keine bedeutsame Rolle.

Zu beachten ist, dass die Pflichten des Arztes zur Beratung des Patienten hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der Behandlung sehr eng ausgelegt werden. Der Arzt ist, obwohl ins System der sozialen Krankenversicherung integriert, nicht Sachwalter der wirtschaftlichen Interessen des Patienten. Doch müssen evtl. Auskünfte auf Fragen des Patienten dennoch zutreffend sein.

Durchsetzung der Ansprüche bei Arztfehlern

Verhandlungen, Schlichtungsstellen und Arzthaftungsprozess

Die Durchsetzung von Ansprüchen des Patienten gegen seinen Arzt erfolgt in den meisten Fällen im Wege von Verhandlungen, zumeist zwischen Patient bzw. seinem Anwalt und der Haftpflichtversicherung des Arztes. Im Ablehnungsfall steht dem Patienten ein für ihn kostenfreies Verfahren bei der zuständigen Ärztekammer offen, in dem seine Vorwürfe von (mindestens) einem Gutachter geprüft werden. Dessen Beurteilung bindet in einem evtl. anschließenden Rechtsstreit nicht das erkennende Gericht. Es können also Einwände gegen den Gutachter, seine Qualifikation oder seine Beurteilung vorgebracht werden.

Da das Arzthaftungsrecht eine spezielle Angelegenheit ist, haben die meisten Landgerichte Spezialkammern gebildet, die sich ausschließlich mit derartigen Prozessen befassen.

Beweislast und Beweislasterleichterungen

Die Frage, wer das Vorliegen bzw. das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch zu beweisen hat, ist in der juristischen Auseinandersetzung von großer Bedeutung. Sowohl für die Frage des Verstoßes gegen die Regeln der ärztlichen Heilkunde als auch des Zusammenhangs zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitschaden ist grundsätzlich die Patientenseite beweispflichtig, das heißt, der Patient muss beim Schadensersatzanspruch allgemein beweisen, dass der Arzt durch einen konkreten Fehler seine jetzt beklagten Beschwerden verursacht hat.

Auch das Verschulden des Arztes und die oben erwähnte Kausalität muss der Patient nachweisen.

Der Patient kann sich daher nicht darauf berufen, dass die Therapie fehlgeschlagen sei. Auch eine erst nach seiner Behandlung etablierte Behandlungsmethode kann er nicht fordern.

Er wird sich bei seiner Argumentation auf ärztliche Gutachter stützen müssen, was vielfach die Besorgnis der mangelnden Transparenz entstehen lässt. Denn „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“. Doch wissen auch die Gutachter, dass in der Regel nicht der Arzt, sondern seine Haftpflichtversicherung für den wirtschaftlichen Schaden aufkommt. Jedoch sollten beide Seiten auf einem unabhängigen, kompetenten und anerkannten Gutachter bestehen.

In seltenen Fällen kommt dem Patienten der sogenannte Anscheinsbeweis zugute. Wenn also aus einem festgestellten Behandlungsfehler typischerweise auf das Vorliegen eines Verschuldens und auf die Kausalität von Seiten des Arztes geschlossen werden kann, greift der Anscheinsbeweis.

Nur dann, wenn der Patient einen groben Behandlungsfehler nachweisen kann, erfolgt eine Umkehr der Beweislast (BGH früher: „Beweiserleicherungen bis hin zur Beweislastumkehr“). Dann muss der Arzt beweisen, dass der eingetretene Schaden nicht auf einem groben Behandlungsfehler beruht. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass all das, was nicht ärztlich dokumentiert wurde, aber dokumentiert werden muss, tatsächlich nicht erfolgt ist. Insoweit sind Dokumentationsfehler oft der Beginn eines erfolgreichen Arzthaftungsprozesses, weil sie Grundlage für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers werden können.

Die mangelnde Erhebung oder Sicherung von Kontrollbefunden führt ebenso zu einer Beweislasterleicherung zu Gunsten des Patienten.